Kennst du sie auch, die wohlgemeinten Sprüche zur Stressbewältigung?
„Lass dich nicht so stressen.“
„Das darfst du nicht so an dich herankommen lassen.“
„Entspann dich doch mal.“
In Phasen, in denen ich stark unter Stress stand, fand ich diese Aussagen weniger hilfreich.
Wenn das immer so einfach wäre.
Oder ist es das vielleicht?
In diesem Fall hilft uns ein Blick hinter die Kulissen.
Ich langweile dich nicht mit den Definitionen von Stress aus den diversen Nachschlagewerken. Die kannst du selbst nachschlagen, wenn du magst. Allerdings gibt es unterschiedliche Stressmodelle, wobei das wohl bekannteste das „Transaktionale Stressmodell“ von Lazarus ist. Es besagt zusammengefasst, dass nicht das Ereignis der Auslöser für den Stress ist, sondern deine Bewertung der Situation. Es tritt eine Situation ein, die durch dich wahrgenommen wird. Du interpretierst diese Situation.
Vielleicht stellst du dir folgende Frage:
„Kann ich diese Situation bewältigen mit den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen?“
Wenn du diese Frage bejahen kannst, ist alles gut. Du hast eine Lösung, setzt sie um und der Stress flacht ab. Hast Du keine Lösung für die Situation, gerätst du in Stress und die Situation wird zum Problem. Kannst du das Problem dauerhaft nicht lösen, wird die Stressreaktion chronisch. Das Mittel, mit dem sich die Situation bewältigen lässt, nennt sich Copingstrategie. Das ist also eine Strategie oder auch Handlung, mit der du dich an die neue Situation in welcher Weise auch immer anpasst.
1. problemorientierte Copingstrategien
Du tust aktiv etwas gegen den Auslöser.
2. emotionsorientierte Copingstrategien
Du baust den Stress – oder die Affekte – ab, indem du wegläufst, Sport machst oder Entspannungsübungen durchführst.
3. bewertungsorientierte Copingstrategien
Hier kommt das Transaktionale Stressmodell ins Spiel.
Du deutest die Situation um. Jetzt ist sie für dich kein Problem mehr, sondern eine Herausforderung.
Du könntest dich auch fragen, was an der Situation gut ist. Sozusagen das Gute im Schlechten.
Dabei darfst du aufpassen:
Es geht nicht darum, dass du alles super findest, was nicht läuft.
Vielmehr geht es darum, dich zu fragen, was du aus der Situation lernen kannst, ob es einen positiven Aspekt gibt, der dich weiterbringt oder was du aus der Situation noch an positiven Dingen herausholen kannst.
Du darfst das noch immer blöd finden, machst nur nicht mehr Vogel Strauß, sondern kannst aktiv werden.
Du kannst folgendermaßen vorgehen, wenn du zukünftig entspannter mit stressigen Situationen umgehen möchtest:
1. Betrifft mich die Situation?
Ist sie gefährlich?
Wenn nein, prima. Chill.
2. Mich betrifft die Situation.
Kann ich sie mit meinen Ressourcen bewältigen?
Wenn nein, wo kann ich mir Unterstützung holen?
Kenne ich jemanden, der mich unterstützen kann?
3. Ich bewerte die Situation neu.
Wenn ich keine Unterstützung bekommen kann, nehme ich die Situation erstmal an.
Das ist nicht dasselbe wie „gut finden“, das heißt nur, ich akzeptiere die Realität.
Kann ich etwas Positives lernen aus der Situation?
Gibt es positive Aspekte?
Kann ich noch etwas herausholen aus der Situation?
In den vielen Fällen wirst Du feststellen, dass es eine Lösung gibt, du dir Hilfe holen kannst oder die Lage gar nicht so bedrohlich ist wie du gedacht hast.
Kommen wir zum zweiten Aspekt der Stressreaktion – dem Körper. Hier ist das Stressmodell von Hans Selye bedeutsam. Erlebst du eine Situation als bedrohlich, kommt es im Körper zur stets gleichen Reaktion: Kampf oder Flucht, Fight-or-Flight-Reaktion.
Du bist in Alarmbereitschaft.
Zuerst schüttet der Körper Botenstoffe aus, die den Körper zum Kampf oder zur Flucht vorbereiten: Noradrenalin bzw. Adrenalin. Damit wird ein Teil Deines vegetativen Nervensystems, also dasjenige, dass ohne deinen Einfluss arbeitet, aktiviert. Damit du gut kämpfen oder weglaufen kannst, wird der Aktivitätsnerv – der Sympathikus – angeregt und es erweitern sich deine Bronchien, Puls und Blutdruck erhöhen sich und die Muskeln spannen sich an. Jetzt weißt du auch – falls es dir nicht ohnehin schon bekannt war – warum du verspannte Schultern vom Stress bekommst. Alles, was der Körper jetzt nicht benötigt, wird weitestgehend eingestellt. Das sind die Funktionen, die vom Parasympathikus als Gegenspieler zum Sympathikus aktiviert werden, wozu z. B. die Verdauung gehört. Nach ungefähr zehn Minuten kommt es dann zur Ausschüttung von Cortisol. Während du unter dem Eindruck von Adrenalin noch ziemlich aufgescheucht und nervös warst, wirst du jetzt ruhiger. Das kennst du vielleicht, wenn du vor Publikum mal einen Vortrag halten musstest. Anfangs ist man zum Teil so aufgeregt, dass man kaum seinen Namen kennt, aber nach einer Weile merkt man, wie der Körper sich langsam entspannt.
Die Ausschüttung von Cortisol ist übrigens auch ganz praktisch, da es z. B. das Schmerzempfinden senkt. Wenn du mal so richtig in eine Klopperei gerätst, merkst du die Schmerzen erstmal nicht so stark.
Leider ist das kein Dauerzustand, und Gewalt empfehle ich als Kommunikationsmittel ohnehin nicht.
Zurück zu unserem alten Freund Hans Selye.
Wir sind noch an dem Punkt, an dem du akuten Stress hattest und dein Stress-System mit dem Sympathikus angeworfen hast. Was auch immer du zur Stressbewältigung tust, ist die Situation vorbei, schaltet dein Körper wieder auf Normalbetrieb um. Das kannst du übrigens bei Tieren ganz gut beobachten.
Nachdem die Raubkatze ihre Beute mit einem Sprint eingeholt, erlegt und verspeist hat, legt sie sich wieder hin. Auch zur Verdauung versteht sich.
Aber auch beim Beutetier ist es ähnlich. Das Erblicken der Raubkatze ist das stressauslösende Ereignis, der Körper wird zur Flucht vorbereitet, die Antilope rennt weg und wenn sie entkommen ist, entspannt sie sich und frisst weiter.
Das ist alles gesund und vom Körper so vorgesehen.
Wäre die Antilope ein Mensch, würde folgendes passieren. Sie würde anfangen, sich Gedanken zu machen.
„Meine Güte, da habe ich aber Glück gehabt, dass ich der Raubkatze entkommen bin. Jetzt stell dir mal vor, die hätte mich gefangen. Da wäre die in voller Fahrt auf mich draufgesprungen, hätte mir ihre Krallen in das Fleisch gerammt, ich wäre schon vor Schmerz fast umgekommen. Dann hätte sie mir die Kehle durchbissen und ich wäre qualvoll verblutet. Oh mein Gott, wie schrecklich! Ich muss unbedingt alles unternehmen, dass das nie passiert und jetzt Tag und Nacht auf der Hut sein.“
Die Antilope hat Glück, sie ist nicht mit einem menschlichen Neocortex, sprich Denkhirn, ausgestattet. Sie kann nicht komplex in die Zukunft denken.
Wir Menschen schon. Das ist manchmal gut und manchmal eben schlecht.
Denn die meisten Dinge, die wir uns in der Phantasie ausmalen, treten gar nicht ein.
Dem Körper ist es aber egal, ob das Ereignis wirklich eintritt oder du nur darüber nachdenkst, was eintreten könnte oder hätte können.
Er schüttet weiterhin und dauerhaft Stresshormone aus, der Stress wird chronisch. Der Körper benötigt viele Nährstoffe, um die Funktion aufrechtzuerhalten.
Irgendwann kommt er mit der Regulation nicht mehr zurecht. Die Cortisolproduktion wird stark verringert, das führt u. a. zu Müdigkeit und Erschöpfung.
Am Ende steckst du – und ich auch – mit beiden Beinen im Burnout.
Du kannst dir vorstellen, dass du in einer Situation, in der dein Körper so geschwächt ist, keine Lust hast, auch noch an Glaubenssätzen über deine Kindheit zu arbeiten. Die Energie brauchst du nämlich, um überhaupt aus dem Bett zu kommen.
Das ist auch der Grund, warum die Coachings manchmal nicht richtig fruchten, die sich ja auf die Mindset-Arbeit konzentrieren.
Mindset-Übungen sind super, wenn du physisch noch in der Balance bist.
Bist du an einem Punkt angekommen, an dem du dich am liebsten nur noch hinlegen würdest, darfst du dich erstmal um deinen Körper kümmern.
Dazu gehört z. B. gute Nahrung, gesunder Schlaf oder möglicherweise ein Detox.
Lass dich kompetent beraten, denn das alles darf nicht mehr Energie kosten als es bringt.
Wie wahrscheinlich ist es, dass du in einer solchen Lage jeden Tag Lust hast, stundenlang zu kochen oder das Internet nach den richtigen Entgiftungsmethoden zu durchforsten?
Eine kompetente Heilpraktikerin deines Vertrauens kann dich hier gut unterstützen.
Zusammengefasst
Beide Stressebenen sind zu berücksichtigen – die psychische und die körperliche.
Auf den psychischen Eben kann ein Coach gute Dienste leisten. Da Stress und Burnout jedoch auch eine physische Komponente haben, benötigst Du unter Umständen eine Ärztin oder Heilpraktikerin.
Wenn du mit dem Gedanken spielst, dein Stressmanagement zu verbessern, dann ist das vielleicht etwas für dich:
Photo: Karim Manjra, Unsplash